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Thanassis Lambrou: Meditation

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2018-07-16 2018-07-16 16.07.2018

Entstehung einer inneren Welt durch die Poesie

Wenn man sich tiefe Nachdenklichkeit von einem Buch erhofft, das für lange Zeit oder immer von neuem beschäftigen wird und zu eigener Tätigkeit Anlass gibt, dann ist auf das Werk „Meditation“ von Thanassis Lambrou vorrangig hinzuweisen. Eingeleitet durch ein Gedicht, das den Titel „Ermutigung“ trägt: „Entsteig dem Meer und spür, es tropft zitronengleich das Licht / in dein Herz, das die Dinge ließ, während die Nacht anbricht. / Wie zahmes Wild schleicht sie herab von den Bergen in der Ferne, / wie ein Heiliger mit losem Haar, Geheimbotschaft der Sterne.“

Es ist das zweite, in deutscher Erstveröffentlichung erscheinende Buch des griechischen Dichters, ein weiteres Mal in der kunstvollen Übersetzung von Herbert Speckner und wieder vom ausgezeichneten Berliner Elfenbein Verlag in seiner „Kleinen Griechischen Bibliothek“ herausgegeben, nachdem der Verlag vor zwei Jahren den Dichter mit dem Band „Labyrinth“ vorgestellt hat. Von einem Glücksfall muss gesprochen werden, dass der Verlag diesen Dichter für die deutschsprachige Leserschaft entdeckt und zugänglich gemacht hat. Gleichfalls gebührt dem Übersetzer Herbert Speckner mit seinen reichen sprachlichen Möglichkeiten hohe Anerkennung, dass diese Dichtungen über die griechischen Grenzen hinaus bekannt werden. Ohne Zweifel handelt es sich bei Thanassis Lambrou um eine der bedeutendsten Stimmen der gegenwärtigen Poesie Griechenlands und Europas – ein Dichter, der sein Nachdenken aus gewaltigen Bildungsschätzen und aufmerksamem Zeiterleben schöpft. Immer ist er mit Philosophen und Dichtern in einem inneren Gespräch. Hinzuweisen ist bei diesem Band u. a. auf Platon, Aristoteles, Plotin, Augustinus, Aristophanes und Sophokles, auf Hölderlin, Goethe, Rilke und Paul Valéry – sie durchwirken sein philosophisch-poetisches Nachdenken, bilden die Grundlage für die eigene Erkenntnisarbeit.

Im Nachwort schreibt Herbert Speckner: „Meléti thanátou lautet der griechische Titel: Gedanken an den Tod, ja geistige Versenkung in das Geheimnis Tod. Dies schien mir des Reichtums der zwischen zwei Buchdeckeln versammelten Gedichte nicht gerecht zu werden, er war zu eng. Der Titel beschrieb nur die Saat, nicht aber auch die in dem Buch reichlich eingebrachte Ernte. Nach langem Zwiegespräch haben wir uns dazu durchgerungen, die deutsche Fassung schlicht mit Meditation zu überschreiben: Nachdenken.“

Der Originalband erschien 2012 in Athen. Es handelt sich um 21 Gedichte, unter denen das zweiteilige Gedicht „Das Rätsel der Zeit“ mit mehr als sechs Seiten das längste ist; auch einige andere Gedichte besitzen einen größeren Umfang. Daneben findet sich eine Reihe kürzerer Gedichte. Manche sind in Reimform gehalten, die meisten jedoch reimlos und oftmals mit Langversehen gestaltet.

Eine Sprache von hoher Schönheit und Festlichkeit, gedanken- und empfindungsreich, begegnet uns in den Gedichten; immer wieder gewinnt man den Eindruck, dass hier eine Stimme mit prophetischer Stärke spricht, mit Deutlichkeit, weitreichenden Kenntnissen, erheblicher Leiderfahrung und Anteilnahme an den Vorgängen der Gegenwart wie in dem „Klagelied“, das sich auf die Feuerkatastrophe 2007 in Griechenland bezieht, oder in dem Gedicht über die „Tiefgründigen Väter“, in dem es am Schluss heißt: „Das dritte Auge einübend, das ihr mir vererbt habt, / lernte ich auf die Flüsse zu achten, / ihren engelsgleichen Leib zu bewundern / und jene Kraft, die all diese Ströme lenkt / jenseits und über ihrem eigenen Selbstsein, / ihre Sehnsucht sich mit dem Meer zu verschmelzen / und Eins zu werden mit all den anderen Wassern – / mit der einen gewaltigen Flamme, / in der Blumen, Tiere und Sterne / verbrennen und wieder erstehen immer aufs Neue / ein immer gleicher, die Mitte umkreisender Tanz.“

Es ist bedeutsam, dass gerade jetzt diese Stimme zu uns spricht und das eigene Nachdenken durch die Poesie hervorruft, um in andere Bereiche zu gelangen. Die Dichtungen sind ein Geschenk und eine wirkliche Hilfe – und diese kommt aus Griechenland. Dass heute eine solche Stimme wie die des 1962 geborenen Thanassis Lambrou erscheint und der Gegenwart eine andere Welt durch die Weite, Höhe und Tiefgründigkeit ihrer Poesie zeigt, ist als ein Ereignis von außerordentlichem Rang anzusehen. Dieser Dichter lernt von der ganzen Welt – eine besondere Bedeutung hat für ihn jedoch die Sternenwelt: „Sterne – / Von allen meinen Lehrern wart ihr mir die besten. / Von euch lernte ich Schweigen, Opfern und das tiefe Sinnen, / mit klarem Blick zu sehen, wie sich Raum und Zeit auflösen / und sich das Kerkertor mit einem mal von selber auftut.“

Autor
Thanassis Lambrou (geb. 1962) studierte Rechtswissenschaften in Thessaloniki sowie Philosophie, Klassische Philologie und Kunstgeschichte in Freiburg i. Br. In griechischer Sprache erschienen bisher fünf Gedichtbände, Essays, eine weitgreifende Studie zu Goethes »Faust« sowie Übersetzungen deutschsprachiger Literatur (u. a. von Angelus Silesius, Goethe, Schiller, Hölderlin), die mehrfach ausgezeichnet wurden. In der deutschen Übersetzung Herbert Speckners erschienen einige seiner Gedichte in den Literaturzeitschriften »die horen«, »Neue Rundschau« sowie »Sinn und Form«.

WAS ICH BIN
Was wohl bin ich?
Ein Stern, der sein Licht von irgendwo lieh.
Ein einsames Blatt
verweht in einen Fluss
mit wütenden Wogen.
Was bin ich wirklich?
Ein Tropfen im Meer.
Flüchtiger Sonnenfleck.
Zünglein einer Flamme.
Ein Reigentanz über dem Abgrund

ΤΙ ΕΙΜΑΙ
Τι είμ´ εγώ;
Ένα άστρο που ´χει απ´ αλλού το φως του
ένα φύλλο μοναχό
ριγμένο μέσα σε ποτάμι
αφρισμένο δυνατό.
Τι είμαι αλήθεια;
Σταγόνα μες στη θάλασσα
κηλίδα του ήλιου
ή κορφή μιας φλόγας
ένας χορός πάνω απ´ τα βάραθρα.

 

Thanassis Lambrou: Meditation
Gedichte. Griechisch – Deutsch
Übersetzt und mit einem Nachwort von Herbert Speckner
Elfenbein Verlag 2016
96 Seiten, 19 Euro
ISBN 978-3-941184-66-4